Entwurf








Die Bühne der Freiheit

Die Demokratie muss von den Bürgern gelebt werden. Wie fragil die Demokratie ist und wie verheerend ihr Verlust sein kann, zeigt die deutsche Geschichte mehr als jede andere. Darum soll das Freiheits- und Einheits­denkmal nach unserem Entwurf selbst ein Ort demokratischer Praxis werden.

Der direkteste Ausdruck politischen Engagements ist die Demonstration. Demonstrationen standen am Anfang aller drei Anläufe zu einem freien und geeinten Deutschland: der Märzrevolution 1848, der Novemberrevolution 1918 und der Wende 1989. Darum wollen wir auch das Freiheits- und Einheitsdenkmal zu einem Ort machen, der zu Kundgebungen einlädt.

Symbol des deutschen Strebens nach Freiheit und Einheit ist seit der März­revolution die schwarz-rot-goldene Flagge, die später auch die Flagge der Frankfurter Nationalversammlung, der Weimarer Republik und schließlich der Bundesrepublik wurde. In Berlin fehlt ein repräsentativer Ort, an dem man sich vor diesem Symbol frei versammeln könnte.

Unser Entwurf sieht vor, auf dem Sockel des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Reiterbildes einen mindestens 51 Meter hohen Mast mit deutscher Flagge zu errichten. Statt den Versuch zu unternehmen, mit den umliegenden, zumeist sehr massiven Gebäuden künstlerisch und architektonisch zu konkurrieren, wollen wir einen Ort sichtbaren öffentlichen Lebens schaffen. Das Denkmal der Freiheit und Einheit kann nicht nur betrachtet werden, sondern jeder kann auf den Sockel treten und es gemäß dem Motto der Leipziger Montags­demonstrat­ionen komplettieren: “Wir sind das Volk.”

Häufig dient das Areal um große freistehende Nationalfahnen militärischen Paraden oder Staatsbesuchen, und die höchsten Fahnenmasten der Welt stehen in Autokratien. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal dagegen soll ein Ort der Bürger werden. Ein Speakers’ Corner, an dem man sich treffen, debattieren und agitieren oder auf dessen Stufen man rasten kann. Statt wie vormals eines toten Kaisers zu gedenken, zelebriert das Volk sich selbst.

Das Einheits- und Freiheitsdenkmal soll nicht dazu dienen, Demonstrationen von der Straße zu holen und auf ein begrenztes Areal zu bannen. Dafür ist sein Sockel gar nicht groß genug. Er ist weniger ein Platz als eine leicht erhöhte und von allen Seiten einsehbare Bühne, die auch kleinere Gruppen und spontane Zusammenkünfte füllen können. So wie die Flagge in alle Richtungen wehen kann, so eröffnet sich als Hintergrund ein buntes Panoptikum von öffentlichen und privaten Gebäuden, von Neubauten und historischen Rekonstruktionen.

Auf dem freigelegten historischen Boden wird, mit dem Mast als Mittelpunkt, ein Kreis von 15 Metern Durchmesser aufgebracht, auf dem in den jeweiligen Himmelsrichtungen die Orte, Daten und Entfernungen wichtiger deutscher und anderer europäischer Volkserhebungen markiert sind, um die Zentralität des Denkmalorts zu relativieren. Freiheit und Einheit müssen immer und überall erstritten werden.

Ingo Niermann




Der Entwurf und Wettbewerbsbeitrag als pdf (Format DIN A1)